Flügelung

fahrplanmäßiges Aufteilen eines Zuges in mehrere Zugteile
(Weitergeleitet von Flügelzug)
Flügelung
Ausgangsbahnhof A
Trennungsbahnhof B
Zielbahnhöfe C und D

Als Flügelung oder Flügeln wird in der Fachsprache das fahrplanmäßige Trennen eines kombinierten Zuges und die Wiedervereinigung bei der Rückfahrt bezeichnet.[1][2] Für diesen Vorgang wird auch der Begriff Zugteilung verwendet.[3] Hierbei müssen nicht zwangsläufig unterschiedliche Endbahnhöfe erreicht werden. Die Teilung in eine Express- und eine Regionallinie mit allen Halten wird als Längsflügeln bezeichnet.[4]

Begriff

Flügelzüge werden aus zwei oder mehr Trieb- oder Wendezügen gebildet, die auf einem Teil der Laufstrecke vereint verkehren. Gelegentlich werden sie auch als lokomotivbespannte Wagenzüge formiert.[5] Zu unterscheiden sind Flügelzüge von:

  • dem Stärken und Schwächen, um Züge den Nachfrageschwankungen innerhalb eines Tages[2] oder auf einem Teil der Strecke[6][7] anzupassen;
  • einzelnen Kurswagen oder Kurswagengruppen, die aus Reisezugwagen bestehen und abschnittsweise einen vom restlichen Zug abweichenden Laufweg haben. Verkehrt eine solche Kurswagengruppe außerhalb des Stammzuges zu ihrem Zielort, spricht man – wie bei geflügelten Triebzügen – von einem Flügelzug.[8]

Betrieb

Optimaler Trennungsbahnhof
Einfahrsignal
Ausfahrsignale
Zwischensignal
Ausfahrsignal
Einfahrsignale

Quelle: [9]

Mit Hilfe des Flügelungskonzepts können unterschiedliche Ziele umsteigefrei angeboten werden. Durch die vereinte Fahrt mehrerer Züge werden auf einem Teil der Strecke Fahrplantrassen – und damit Trassenentgelte – sowie Personal eingespart.[10] Damit das Flügeln in kurzer Zeit erfolgen kann, sind Flügelzüge mit einer automatischen Kupplung ausgestattet, die von den Triebfahrzeugführern per Knopfdruck bedient wird.[2] Um das Trennen und Vereinigen der beiden Zugteile innerhalb von zwei bis vier Minuten zu ermöglichen, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein:

  • Beide Streckenäste führen parallel in den Trennungsbahnhof hinein und vereinigen sich bei der Bahnsteigmitte, damit beide Zugteile fast gleichzeitig in den Bahnhof einfahren können.[9]
  • Der Trennungsbahnhof ist mit Zwischen- oder Gleisabschnittsignalen ausgestattet.[11] Der zweite Zugteil legt die kurze Fahrt vom Zwischen- bzw. Gleisabschnittsignal zum vorderen Zugteil als Rangierfahrt zurück. Gibt es ein Zugdeckungssignal im Zielgleis, wird dies in Deutschland als Beifahranlage bezeichnet. In diesem Fall wird die Fahrt mit einem Fahrtbegriff am zurückgelegenen Hauptsignal zugelassen, wobei die Geschwindigkeit wegen des fehlenden Durchrutschwegs begrenzt wird.
  • Das Ausfahrsignal steht schon bei Einfahrt des ersten Zugteils auf Fahrt, damit die beiden vereinten Zugteile mit Höchstgeschwindigkeit ausfahren können, ohne durch die Zugbeeinflussung verlangsamt zu werden.[9]
  • Die richtungsbestimmende Weiche liegt direkt hinter dem Bahnsteig sowie einem Hauptsignal. Dadurch kann die Ausfahrt für den zweiten Zugteil eingestellt werden, sobald der vordere Zugteil den Bahnsteigbereich verlassen hat.
  • Nicht möglich ist Flügeln, wenn der Abzweigbahnhof als Keilbahnhof ausgebildet ist.[12]
Fahrgastinformation eines Zuges, der im Verlauf der Fahrt geflügelt wird

Ein Flügelungskonzept stellt besondere Ansprüche an die Fahrgastinformation. Es soll optisch und akustisch vermittelt werden, welcher Zugteil wohin fährt und wo der Zug geteilt wird. In elektronischen Fahrplänen fehlt oft der Hinweis auf Flügelung. Auf den Bahnhöfen muss der Fahrgast informiert werden, in welchen Zugteil er einsteigen soll, falls er über den Trennungsbahnhof hinaus weiterreist. Wenn die Bahnsteige in Sektoren A, B, C, … eingeteilt sind, können sich die Reisenden bereits vor der Zugankunft auf dem Bahnsteig entsprechend platzieren. Eine zusätzliche Orientierungshilfe bieten die Zugzielanzeiger außen an den Fahrzeugen sowie auch im Innern der Wagen. Für die Durchsage kurz vor dem Trennungsbahnhof sind selektive Ansagen für jeden der beiden Zugteile optimal.[10]

Im Zusammenhang mit ETCS Level 2 (ohne konventionelle Hauptsignale) hat DB Netz einen neuen Fahrstraßentyp zum Stärken konzipiert. Dieser sieht einen Wechsel in die Betriebsart On Sight bei Annäherung an den vorausliegenden Zug vor.[13]

Beispiele

Deutschland

Fernverkehr

Zwei gekuppelte ICE-Einheiten, die geflügelt werden können und als einzelne Züge in verschiedene Richtungen weiterfahren.
Kupplung zweier ICE-Einzelzüge im Hauptbahnhof Leipzig

Schon im Schnelltriebwagennetz der Deutschen Reichsbahn in den 1930er Jahren wurde das Flügelzugkonzept angewandt. Die von Berlin bis Nürnberg vereinigten Züge wurden dort in Flügel nach Stuttgart und nach München getrennt. Ebenso wurde auf der Linie BerlinKöln verfahren: Dort verkehrten beide Teile bis Hamm (Westf.) vereinigt, danach fuhr ein Teil über Hagen und Wuppertal, der andere über Dortmund, Essen und Düsseldorf nach Köln.

Dies wird auch gegenwärtig praktiziert, insbesondere seit Einführung des Halbzugkonzepts mit der zweiten, dritten und vierten Baureihe des Intercity-Express.[14] Die Züge der tagsüber stündlich verkehrenden Linie 10 werden jede zweite Stunde in Hamm geflügelt. Für Fahrgäste nach Köln ergibt sich ein erheblicher Zeitgewinn, da der dorthin fahrende Zugteil das Ruhrgebiet südlich über Hagen und Wuppertal umfährt. Der andere Zugteil verkehrt nach Düsseldorf und hält im Ruhrgebiet an vier weiteren Bahnhöfen.Als weiteres Beispiel kann die Nord-Süd-Linie 25 aus München dienen, die in Hannover Hauptbahnhof geflügelt wird. Der vordere Teil fährt nach Hamburg, der hintere nach Bremen und am Tagesrand darüber hinaus nach Oldenburg.

Vereinzelt werden auch lokbespannte Intercity-Garnituren geflügelt. So verkehrt an Freitagen ein Intercity von Frankfurt am Main nach Fulda, wo der Zug geteilt wird und die entsprechenden Zugteile nach Leipzig sowie nach Berlin via Hannover weiterfahren. Die dafür notwendige zweite Lokomotive läuft bereits ab Frankfurt in der Mitte des Zuges mit, wodurch auf umständliches Rangieren in Fulda verzichtet werden kann.

Nahverkehr

Die Baureihe 610 sorgte 1992 für zwei Deutschland-Premieren: erster Zug mit Neige­technik und erste Regional-Flügelzüge

Im ÖPNV wird – so die Trieb- und Wendezüge automatisch gekuppelt werden können – ebenso verfahren. Die Flügelung wenden viele Bahngesellschaften an, die LINT-Triebzüge einsetzen, die speziell für den Flügelungsbetrieb konzipiert wurden. Zuweilen wird mit herkömmlichen Doppelstockwagen-Zügen geflügelt, wenn dies ohne großen Aufwand möglich ist. Begonnen wurde mit der Flügelung im Jahr 1992 mit den „Pendolino“ genannten Regionalschnellbahn-Zügen mit Neigetechnik von Nürnberg nach Bayreuth und nach Hof.

In allen Regionen Deutschlands gibt es Anwendungen von Flügelzugkonzepten:

Österreich

Zweiteiliger Railjet im Wiener West­bahnhof.

Etliche ÖBB-Railjet-Verbindungen aus Innsbruck und München werden in Salzburg vereint und in Wien geteilt. Ein Teil fährt zum Flughafen Wien, der andere nach Budapest Keleti.[18] Weiters wird das Prinzip der Flügelung bei den S-Bahn-Systemen in Wien und der Steiermark angewandt. In Wien werden viele S-Bahn-Züge bis Floridsdorf verstärkt geführt und ab Floridsdorf nur mehr als Kurzzug. Nach demselben Prinzip verkehren seit dem Dezember 2017 zwei REX-Züge zwischen Wien FJB und Gmünd/České Velenice. Die Züge verlassen Wien mit 2 Triebwägen und fahren so bis Sigmundsherberg, wo eine der beiden Einheiten abgekuppelt wird.

Bei der S-Bahn Steiermark werden Regionalexpress-Züge von Graz in Richtung Leoben und weiter nach Unzmarkt bzw. Selzthal in Leoben in ebendiese Teile geteilt. An Wochenenden fahren auf den S-Bahnlinien 7 und 61 alle Züge bis Lieboch als Doppeltraktion und werden danach geteilt.

Schweiz

Flügelzug der Berner Oberland-Bahn nach Lauterbrunnen und Grindelwald, der in Zweilütschinen geteilt wird.

Allein ab Bern gibt es vier BLS-Linien, die mit dem Flügelzugsystem betrieben werden:

Die Berner Oberland-Bahn verlässt den Bahnhof Interlaken Ost jeweils mit zwei zusammenhängenden Zugteilen, die in Zweilütschinen geflügelt werden: Ein Teil führt nach Lauterbrunnen, der andere nach Grindelwald. In der Abfahrtstabelle des Bahnhofs Interlaken Ost sind die Flügelzüge als zwei eigenständige Züge eingetragen, die zwar auf demselben Gleis, jedoch in unterschiedlichen Sektoren abfahren.[21]

Die SBB setzen das Flügelzugskonzept im Jura ein. Von Biel kommende Züge werden Sonceboz-Sombeval in zwei Teile getrennt. Ein Zugsteil fährt nach La Chaux-de-Fonds weiter, der andere nach TavannesMallerayBévilardMoutierSolothurn.[22]

Seit 2019 betreibt die Rhätische Bahn die Davoser- und Vereinalinie mit dem Flügelzugkonzept. Die von Landquart kommenden Züge (RhB ABe 4/16 3111–3172) werden in Klosters geflügelt und verkehren nach Davos und durch den Vereinatunnel nach St. Moritz.[1][23]

Großbritannien

Sprinter-Triebwagen der Klasse 156. Der Vorteil der an und für sich für längere Strecken weniger komfortablen Sprinter liegt im Übergang, der – auto­matisch beim Kuppeln zusam­men­fahrend – die Möglichkeit bietet, den Zug während der Fahrt komplett zu durchlaufen.

Auf der West Highland Line, die Glasgow in nördlicher Richtung verlässt, kommen ebenfalls Flügelzüge zum Einsatz. Die Sprinter-Triebwagen der Klasse 156 verlassen Glasgow Queen Street als Doppel- oder Dreifacheinheit und werden in Crianlarich nach den Zielbahnhöfen Oban oder Fort William/Mallaig getrennt, wobei der Zug nach Oban durch die erste oder die ersten beiden Einheiten realisiert wird. Die hintere (oder die beiden hinteren) Einheit(en) fahren später in Richtung Mallaig weiter. Bei der Rückkehr fährt der südliche (also in Fahrtrichtung vordere) Zugteil aus Mallaig zuerst in den Bahnhof ein, danach der Zug aus Oban.

Im Norden von Wales fahren ebenfalls „Sprinter“-Triebwagen-Flügelzüge auf der Cambrian Line zwischen Birmingham New Street und Aberystwyth bzw. Pwllheli. Die Strecke teilt sich zwar eigentlich an der Dovey Junction, die Züge allerdings schon früher in Machynlleth, einem Bahnhof mit wesentlich größerem Fahrgastaufkommen.[24]

Auch im Süden Englands fahren regelmäßig Flügelzüge u. a. auf der Brighton Main Line zwischen London Victoria und unterschiedlichen Ziele auf der West Coastway line. Somit können mehr und gezieltere Züge von bzw. nach London auf der Strecke entlang der Küste fahren, ohne die schon an ihre Kapazitäten grenzende Strecke zwischen London und Brighton weiter zu belasten.

Illustration einer Flügelung

Die folgenden Bilder zeigen die Flügelung eines Zuges der SBB im Berner Jura:

Einzelnachweise