Ökologischer Jagdverband

deutscher Jagdverband, der sich einer an den Erkenntnissen der Ökologie orientierten Jagd verpflichtet sieht

Der Ökologische Jagdverband (ÖJV) ist ein deutscher Jagdverband, der sich einer an den Erkenntnissen der Ökologie orientierten Jagd verpflichtet sieht. Als gemeinnütziger, eingetragener Verein ist der ÖJV die Vereinigung von gegenwärtig zwölf Landesgruppen.[1] Die Zahl der über die Landesgruppen im ÖJV-Bundesverband vertretenen Mitglieder beläuft sich auf circa 3.500 Mitglieder (Stand 2022).[2]

Ökologischer Jagdverband
(ÖJV)
Rechtsformeingetragener Verein
Gründung1991 (ÖJV Bayern: 1988)
SitzSelb
ZweckJagd, Naturschutz, Lobbyorganisation
VorsitzWolfgang Kornder
Mitglieder3447 (2022)
Websiteoejv.de

Geschichte

Hintergrund

Weiserfläche zur Beurteilung des Wildeinflusses auf die Naturverjüngung – man beachte das Fehlen von Verjüngung außerhalb der Umzäunung

In seinem Film Bemerkungen über den Rothirsch zeigte Horst Stern 1971 einer breiten Öffentlichkeit erstmals die in der Forstwissenschaft lange bekannten Wildschäden in deutschen Wäldern, die hohe Bestände an Rothirsch und Reh durch Wildverbiss, Fegen und Schälen verursachen.[3][4] Der davon ausgelöste Skandal brachte den Film auf die Tagesordnung der zuständigen Ausschüsse im Bayerischen Landtag und Deutschen Bundestag.[5] Dies sowie Wortmeldungen von Vertretern des Naturschutzes und der Forstwirtschaft und die sich entwickelnde öffentliche Diskussion führten seit den 1970er Jahren zu einer verstärkten Kritik an der traditionellen Jagdpraktiken, wie der Selektion nach Trophäen und der Wildfütterung bei begehrten Wildarten sowie den dadurch mitverursachten hohen Wildbeständen.[3][4]

Ökologischer Jagdverein Bayern e. V.

Textlogo des Ökologischen Jagdvereins Bayern, in Verwendung bis Anfang der 2000er Jahre

Vor diesem Hintergrund und unter dem Eindruck mangelnder Reformbereitschaft bei den traditionellen Jagdverbänden wurde am Hubertustag des Jahres 1988 auf der Gründungsversammlung im Münchner Hofbräuhaus der Ökologische Jagdverein Bayern (ÖJV Bayern) ins Leben gerufen.[6][7] In den Vorstand gewählt wurden: Richard Plochmann, Professor für Forstpolitik und Forstgeschichte, Sebastian von Rotenhan, 1989–2001 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft (ANW) und Besitzer eines bekannten Musterbetriebs für naturgemäße Waldwirtschaft in Rentweinsdorf, sowie Hans Sleik, gelernter Berufsjäger und als Forstdirektor Leiter der Bayerischen Salforste in Österreich.[8][9]

Weitere namhafte Gründungsmitglieder waren Georg Sperber, Förster und als Forstdirektor Leiter des Forstamts Ebrach,[10][11] Ulrich Ammer, Professor für Landnutzungsplanung und Naturschutz,[6] sowie Peter Burschel, Professor für Waldbau und Forsteinrichtung.[12] Zur Gruppe der Mitinitiatoren zählte Walter Helemann, Hauptschriftleiter der Jagdzeitschrift „Pirsch“ von 1970 bis 1987.[13] Bei der Gründungsversammlung sowie der anschließenden Pressekonferenz waren insgesamt rund 30 Teilnehmern zugegen,[14] darunter auch die Mitinitiatoren Horst Stern, Wissenschaftsjournalist und Filmemacher, Hubert Weinzierl, langjähriger Vorsitzender des Bund Naturschutz in Bayern, sowie Wolfgang Schröder, Professor für Wildbiologie und Jagdkunde.[10]

Der ÖJV Bayern vergibt seit 2010 den Wald-vor-Wild-Preis für aus seiner Sicht vorbildliche Bejagung oder besonderes Engagement dafür. Preisträger waren (bis 2022) Georg Hinterstoißer, die kommunalen Forstbetriebe Hausen, Bamberg, München und Fürth, das Juliusspital Würzburg, die Jagdgenossenschaften Lämmersdorf II, Wernsbach und Hartpenning, der Forstbetrieb Blauwald, Revierleiter des Forstbetriebs Ebrach des Bayerischen Staatsforsten, Andreas Tyroller vom Bayerischen Bauernverband (BBV) und Revierleiter Jochen Raue in Frammersbach.[15]

Ökologischer Jagdverband e. V. (ÖJV) – Bundesverband

Im März 1991 trafen sich Vertreter der damals existierenden vier ÖJV-Landesvereine (Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz) im hessischen Bad Nauheim und beschlossen die Gründung eines gemeinsamen Dachverbandes unter dem Namen Ökologischer Jagdverband e. V.[6] Der Sitz der Bundesgeschäftsstelle befindet sich in Herzogenaurach.[16] Vorsitzende des ÖJV-Bundesverbandes ist, als erste Frau an der Spitze eines deutschen Jagdverbandes,[13] seit dessen Gründung 1991 bis 2023 Elisabeth Emmert.[6][17]Mittlerweile gibt es als weitere Mitglieder des Ökologischen Jagdverband e. V. die ÖJV-Landesvereine in Baden-Württemberg, Brandenburg-Berlin, Niedersachsen-Bremen, Saarland (Ökologisch Jagen im Saarland e. V.), Sachsen, Schleswig-Holstein (bis Juli 2022 Arbeitsgemeinschaft Naturnahe Jagd Schleswig-Holstein e.V.) und Thüringen. Anfang 2022 betrug die Anzahl der Mitglieder in den Landesvereinen 3.447 Personen.1996 wurde der Ökologische Jagdverband e. V. Mitglied im Deutschen Naturschutzring und löste dabei den dort bereits seit 1990 vertretenen ÖJV Bayern ab.[18] Seit Januar 2014 ist der ÖJV-Bundesverband Mitglied in der Internationalen Alpenschutzkommission (CIPRA).[19] Mit der 2010 gegründeten österreichischen Schwesterorganisation Ökologischer Jagdverband Österreichs besteht eine Kooperation.[1]

Ökologischer Jagdverein Niedersachsen-Bremen e. V. (ÖJV-NB)

Die Gründungsversammlung der „Arbeitsgemeinschaft Naturnahe Jagd in Norddeutschland e. V.“ (ANJN) fand am 24. April 1991 in Göttingen statt.Die Vorsitzenden waren seit 1991 Martin Levin, seit 1995 Rainer Barthel, seit 1999 Stephan Boschen (später Vorsitzender des ÖJV Hessen), seit 2007 Gerhard Hinze, seit 2010 Jürgen Oppermann (vormals Vorsitzender des ÖJV-NW), seit 2013 Ludwig Artmeyer und seit 2017 Gerhard Naujoks.Der Beitritt zum Ökologischen Jagdverband e. V. (ÖJV) erfolgte im Jahre 2002.Der ANJN wurde im Jahre 2006 umbenannt in „Ökologischer Jagdverein Niedersachsen und Bremen e. V.“ und im Jahre 2019 in „Ökologischer Jagdverein Niedersachsen-Bremen e. V.“ (ÖJV-NB).

Grundsätze

Schütze während einer Drückjagd

Der Verein sieht die Jagd als eine legitime Form der nachhaltigen Naturnutzung an. Die Ökologie soll dabei als Wissenschaft Grundlagen für die Jagd liefern, von der Waldbau, Natur-, Arten- und Tierschutz betroffen sind. Die Jagd soll in der Kulturlandschaft ökologische und unzumutbare ökonomische Schäden verhindern und eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen ermöglichen. Demzufolge müsse beispielsweise das Schwarzwild wegen seiner Schäden in der Landwirtschaft reguliert werden.

Aufgrund der aktuellen Umweltprobleme, allen voran des Klimawandels und der damit einhergehenden, massenweisen Vermehrung des Borkenkäfers, steige die Bedeutung des Schutzes der Wälder. Deshalb müsse der Waldbau grundsätzlich und der Umbau der Wälder durch die Jagd unterstützt werden. Das Wachstum der Wälder werde maßgeblich durch das Schalenwild beeinflusst, da Hirsche, Rehe, Gämsen, Damwild und andere Schalenwildarten mit zunehmender Wilddichte durch Verbiss, Schälen und Fegen ihren Lebensraum schädigen oder zerstören. Die Folgen zu hoher Schalenwildbestände seien entmischte Wälder mit Tendenzen zu Monokulturen, geringere Diversität und dadurch geringerer Stabilität; damit verbunden sind zudem höhere ökonomische Kosten durch künstliche Pflanzung, kostenintensive Zäunungen oder andere Schutzmaßnahmen. Schalenwild müsse deshalb so bejagt werden, dass sich die Wälder ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen verjüngen können, so dass der Schwerpunkt ökologischer Jagd im Aufbau naturgemäßer, gemischter Wälder liegt. Nutzung und Schutz gingen hier Hand in Hand.

Die Trophäenjagd mit den damit verbundenen trophäenorientierten Jagdzeiten und der Wildfütterung hätten zu diesen Problemen beigetragen, da das Fördern von Trophäenträgern und der Wunsch, möglichst große Trophäen zu erbeuten, zur einseitigen Förderung dieser Tiere auf Kosten des Waldes führe. Wildfütterung sei unnatürlich, da das Wild durch die lange Evolution an den winterlichen Nahrungsengpass angepasst sei. Verluste von schwachen Stücken dienten der Gesunderhaltung der Populationen. Fütterung sei oftmals kontraproduktiv, da sie die Reproduktionsrate erhöhe und damit das Wald-Wild-Problem zusätzlich anheize.

Damit habe die Jagd die ökologische Aufgabe, die natürliche Vielfalt (Diversität) zu fördern. Dabei müssten die Selbstregulationsmechanismen der Natur beachtet werden. Die Funktion der Beutegreifer im Ökosystem sei vor diesem Hintergrund zu würdigen und eine Bekämpfung nur als Konkurrenz zu menschlicher Nutzung sei zu unterlassen. Der Verband begrüßt daher die Wiedereinwanderung der Prädatoren Wolf und Luchs und begreift sie als Helfer bei der Regulation der Wildbestände. Dort wo, wie beim Schalenwild, gravierende Schäden am Biotop entstünden, seien diese durch die Jagd zu verhindern. Der Aufbau stabiler, gemischter Wälder sei durch angepasste Schalenwildbestände zu fördern. Grundsätzlich müsse die Jagd für den Naturhaushalt unbedenklich sein und möglichst störungsarm erfolgen. Effiziente Jagdmethoden, wie z. B. Drückjagden, seien aufgrund der geringeren Beunruhigung des Wildes zu fördern.[20]

Vorsitzende

ÖJV-Bundesverband

  • von 1991 bis 2023: Elisabeth Emmert[6][17]
  • seit September 2023 Wolfgang Kornder

ÖJV Bayern

Kritik

Die Ziele des ÖJV sind in der traditionellen Jägerschaft sehr umstritten.[24][25] Dem Verein und anderen Vertretern des naturnahen Mischwaldbaus wird zum Teil vorgeworfen, sie würden, etwa unter Verweis auf den seit 2005 in Art 1 Abs. 2 Nr. 2 des Bayerischen Waldgesetzes verankerten Grundsatz „Wald vor Wild“,[26] die Bestände von Reh- und Rotwild wahllos zusammenschießen oder ausrotten wollen.[27]

Veröffentlichungen

Zeitschrift

Bücher und Broschüren, herausgegeben vom ÖJV Bayern

Siehe auch

Commons: Ökologischer Jagdverband – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise